Der Brauch des Tereré in Paraguay


Tradition der Vorfahren

Paraguay und der Brauch des "Tereré" oder "Mate"
Was hat es auf sich mit dem “tereré“ / Mate?



Wenn Sie sich das chste Mal darüber aufregen, dass wieder eine „Tereré-Pause eingelegt wird, seien Sie vorsichtig. Es handelt sich um einTradition der Vorfahren

Januar in Asunción, Samstagmorgen 09.00 Uhr. Eine starke Hitze drückt die Gemüter nieder. In der Sprachschule „B.“ ist Pause. Die Sprachschüler und Lehrer schlurfen wie eine Horde lahmer Kamele aus ihren Klassenräumen in den Gemeinschaftsraum und setzen sich an leere Tische. Eine Klimaanlage ist dort nicht vorhanden, und der Getränkeautomat lädt zwar zu einer Erfrischung ein, aber nicht in jeder Pause. Das geht ins Geld. Schüler und Lehrer gucken sich mit verstohlenen Blicken an. Etwas fehlt. Jeder versucht, die Pause so gut wie möglich hinter sich zu bringen, um dann wieder in die Klassenzimmer zu flüchten, zu den Klimaanlagen, die die kleinen Zimmer angenehm kühl halten. Ein paar ausgetauschte Worte, weiter nichts.
„Bevor von der Schulleitung „Tereré“ verboten wurde, fing der Unterricht nach der Pause viel später an“ meint der Leiter der Schule stolz. Seit Einführung dieser „pädagogischen“ Maßnahme ginge alles wieder nach bester Ordnung.

Knapp 3 Monate später ist die Sclerzahl auf 50 % gesunken. Der Leiter versucht händeringend neue Studenten für seine Schule anzuwerben. Zwecklos. Es hat sich bereits überall herumgesprochen. Der Leiter, „das ist ein „Gringo“(Ausländer). "Gringos" verstehen nun mal wenig von dem, wie es in Paraguay zugeht.
Damals, als in den Pausen „Tereré“ erlaubt war, machte der Unterricht so richtig Spaß. Warum? Jeder, der moderne Pädagogik studiert hat, weiß, dass das menschliche Gehirn eine „Auslaufphase“ braucht, nachdem es eine bestimmte Zeit auf Hochtouren lief. Merkmal dieser Phase ist eine gelassene, entspannte Atmosphäre. In dieser Zeit kümmert sich das Gehirn darum, dass gerade frisch Erlernte in eine Art „Ablage“ zu parken, um später in aller Ruhe wieder darauf zurückgreifen zu können. Vergleichbar mit der Ernährung einer Kuh. Zuerst wird das Gras gefressen und später wiedergekäut. Und dies kann nur dann geschehen, wenn man vom Unterricht, bzw. Unterrichtsstoff abschalten kann. Diese „Auslaufphase“ wird normalerweise am besten innerhalb der Gruppe durchgeführt. Experten behaupten zusätzlich, das seien Momente des sogenannten „Meta-learning“ Prozesses. D.h.: Wenn der Mensch die ihm im Unterricht gelieferten Mittel selbstständig anwendet und im gegenseitigen Austausch mit anderen ausprobiert.
Der Erfolg wird erheblich gesteigert, wenn man von vorneherein die Gruppe hierarchisch aufbaut, um diesen Prozess geordnet durchzuführen.
Die Tradition des „Tereré“ bietet hierzu die besten Voraussetzungen. Angefangen hat diese Tradition damit, dass man sich in den indianischen Urwaldstämmen der Guaraní an einem schattigen Ort niederließ, um sich im Beisammensein zu erfrischen.
Man reichte sich im Kreis einen aus Horn oder Holz gebastelten Becher (Huampa), der mit kaltem Matetee gefüllt war. Serviert wurde er meistens aus einem in der Kühle aufbewahrten Tonkrug mit frischem, kaltem Brunnenwasser. Mit der Zeit kamen in den Wasserkrug auch eine ganze Reihe anderer Heilkräuter, die alle eine bestimmte Heilwirkung hatten. Einige „säuberten“ die Nieren, andere halfen der Verdauung, weitere bekämpften die Parasiten im Körper, usw.
Was wahrscheinlich vor vielen hundert Jahren irgendwann einmal mit einer spontanen Handlung begonnen hatte, wurde zu einem Ritual und einem entscheidenden Bestandteil der paraguayischen Kultur.
Mit der Zeit entwickelte dieser Brauch ein eigenes Leben und seine eigenen Gesetze. So wurde der „Tereré“ meistens von dem Stammesjüngsten serviert. Der Erste, der den Becher bekam, war der Stammeshäuptling oder der Stammelteste. Dieser durfte dann gemütlich den Becher mit einer Art metallischen Strohhalm (Bombilla) ausschlürfen. Der leere Becher wurde dann wieder an denjenigen der serviert oder „Cebador“ gegeben, der sich darum kümmerte, ihn wieder aufzufüllen und an den „Nächsten“ in der Reihenfolge weiterzugeben. Dieser Vorgang verlangte und verlangt auch heute noch eine gewisse Disziplin und Respekt. Disziplin im Sinne von Selbstdisziplin, weil man, gewollt oder nicht, bei 40 Grad im Schatten besonders durstig wird. Respekt, im Sinne von Rücksicht auf die anderen, weil man die Durstigen nicht zu lange warten lassen darf.
Ein Balanceakt, der Menschenkenntnisse voraussetzt und gegebenenfalls schult. Das wiederum spiegelt wieder, wie wichtig dieses Ritual ist.
Dies wurde bis in unsere Zeit von den hiesigen Vorfahren, mit einigen praktischen Änderungen, weitergegeben. Der mit Wasser gefüllte Tonkrug wurde beispielsweise durch einen Thermo-Behälter ersetzt, der mit Eiswürfeln, Wasser und den üblichen Kräuter gefüllt wird. Heute wird es außerdem benutzt, um soziale Konflikte in einer angenehmen, gelassenen Atmosphäre zu schlichten. Oder um neue Bekanntschaften zu machen. Als „Eisbrecher“ sozusagen. Es wird aber auch benutzt, um bestimmte Situationen gemeinsam zu überbrücken oder zu besprechen, wie etwa die am Anfang dieses Artikels genannte Auslaufphase“ nach dem Unterricht.
In dem Falle wäre es möglicherweise der Lehrer, der sozusagen die soziale Figur des „Stammeshäuptlings“ übernimmt und wahrscheinlich der „schwächste“ Schüler, der zum „Cebador” ernannt wird. Diese ganze Zeremonie gibt der Gruppe einen Zusammenhalt und ein „Gruppengefühl“, das in dieser Art nur in Paraguay erlebt wird. Diese „Ordnung“ wird automatisch auch dann spontan wiederhergestellt, wenn die Gruppe nicht unbedingt nach dem Unterricht zusammentrifft, sondern beispielsweise bei einem Fußballspiel. Der Mensch fühlt sich nun mal sicherer, wenn er weiß, welchen Platz er in einer Gruppe einnimmt.
Dieses Schema durch „moderne“ betriebswirtschaftliche Sichtweisen zu beeinträchtigen ist wie ein kultureller Schlag unter die Gürtellinie. Man arbeitet zwar weiterhin wie gewohnt, aber nicht mehr mit demselben Willen und derselben Lust. Es fehlt etwas, was seit Generationen im Blut steckt und durch das Blut weitergegeben wird. Oder würden Sie sich zutrauen, den Kölner Karneval“ aus betriebswirtschaftlichen Interessen abzuschaffen.?
Der Vergleich ist zwar ziemlich grob. Aber in Deutschland gibt es solche Traditionen wie das hiesige „Tereré“-Trinken oder ähnliche „sozial ordnende“ Vorgänge nicht. Vielleicht hat es sie gegeben, wurden aber im Rausch des Fortschritts so vernachlässigt, dass sie ausgestorben sind. Zumindest dient der Vergleich ansatzweise dazu, uns ein wenig spüren zu lassen, wie man sich dabei fühlt.

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